Ein Tennisball ersetzt teure Medizin
Inmitten einer Welt voller High-End-Medizin und teurer Diagnosetechnologie überrascht eine einfache Methode: ein Tennisball in der Hand. Joshua Davidson, Forscher für Kraft- und Konditionstraining an der Universität Derby, empfiehlt diesen simplen Test, um den Zustand der Muskulatur einzuschätzen. Das Beste daran: Er funktioniert ohne jegliches Spezialgerät.
Davidson untersucht die Handkraft – heute einer der zuverlässigsten Marker für die körperliche Verfassung. In der Forschung nutzt man Dynamometer, um die Kraft von Hand und Unterarm zu messen. Mittlerweile ermöglichen Apps und mobile Geräte sogar eine häusliche Selbstüberwachung.
Trotz technischer Fortschritte schwört Davidson auf einen manuellen Squeeze-Test. „Alles, was sich leicht zusammendrücken lässt und keine Schmerzen verursacht, eignet sich“, sagt er. Wer einen Tennisball 15 bis 30 Sekunden lang maximal zusammendrücken kann, hat bereits einen gesunden Referenzwert. Notieren Sie regelmäßig Ihre Zeiten, um Fortschritte festzuhalten.
Der Griff sagt mehr als der Blutdruck
Auch wenn ein schwacher Griff im Alltag oft nur das Öffnen eines Glases erschwert – er liefert weit mehr Informationen. Professor Mark Peterson von der Universität Michigan betont, dass die Handkraft Rückschlüsse auf die gesamte Muskulatur erlaubt. Sie zeigt, ob jemand körperlich aktiv oder zu wenig in Bewegung ist, und weist auf drohende Gebrechlichkeit hin.
Ein internationales Forschungsteam erkannte erstmals den Wert dieser Methode in einer Studie mit fast 140.000 Erwachsenen. Das Ergebnis: Die Handkraft war ein besserer Prädiktor für vorzeitigen Tod als Blutdruckwerte. In einer weiteren Langzeitstudie hatten jene mit den höchsten Griffkraftwerten eine 2,5-fach höhere Chance, 100 Jahre alt zu werden.
Die Verbindung zu Muskelschwund und Stoffwechselstörungen
Laut Dr. Darryl Leong von der McMaster University fasst die Griffkraft Faktoren wie Ernährung, Bewegung und Vorerkrankungen zusammen. „Deshalb ist sie mit so vielen Gesundheitsproblemen verbunden“, erklärt er. Studien zeigen: Werte unter 25,5 Kilogramm bei Männern und unter 18 Kilogramm bei Frauen deuten auf ein erhöhtes Risiko für Sarkopenie hin – also den altersbedingten Muskelschwund.
Auch ein einfacher Händedruck kann laut Dr. Guillaume Paré Warnsignale liefern. Hände mit eingefallenen Muskeln oder ein unsicherer Griff zeigen häufig, dass Muskelmasse verloren geht – ein frühes Anzeichen für Mobilitätsprobleme, Stürze oder sogar Pflegebedürftigkeit.
Darüber hinaus spielt Muskelkraft eine zentrale Rolle im Stoffwechsel. Muskulatur hilft, überschüssigen Zucker im Blut zu binden und schützt so vor Insulinresistenz. Wer einen schwachen Griff hat, läuft eher Gefahr, an Diabetes Typ 2, Osteoporose, Mangelernährung, geistigem Abbau oder Depressionen zu leiden.
Mit einem Dynamometer können Sie Ihre Griffkraft mit Durchschnittswerten Ihrer Altersgruppe vergleichen und objektiv beurteilen.
Was Ihre Muskeln über Ihr Erbgut verraten
Im Jahr 2022 leitete Peterson eine Studie zur Verbindung zwischen Handkraft und genetischen Veränderungen. Ergebnis: Menschen mit schwacher Griffkraft wiesen Veränderungen in der DNA-Methylierung auf – eine epigenetische Modifikation, die durch Umweltfaktoren wie Übergewicht, Stress oder Schadstoffe ausgelöst werden kann. Diese Veränderungen beschleunigen den Alterungsprozess.
Zum Training empfiehlt Peterson einfache Handgelenkübungen mit Alltagsgegenständen. Setzen Sie sich, halten Sie eine Konservendose mit der Handfläche nach oben und heben Sie sie langsam in Richtung Körper. Kurz halten, dann wieder absenken. Ziel sind fünf Sätze mit je 20 Wiederholungen.
Paré betrachtet Griffkraft als Marker für Krankheitsresistenz. Studien an Krebspatienten zeigen, dass jene mit geringer Handkraft häufiger ungewollten Gewichtsverlust oder Muskelabbau (Kachexie) erleiden – mit schlechterer Prognose. „Bei Infekten wie Lungenentzündung kann schwache Muskulatur nicht effektiv Schleim aus den Atemwegen befördern“, erklärt Peterson – das steigert das Sterberisiko.
Starke Hände für ein starkes Leben – schon ab der Jugend
Auch bei Jugendlichen wirkt sich die Handkraft aus. Studien zeigen, dass Länder mit höherer durchschnittlicher Griffkraft mehr olympische Medaillen gewinnen. Paré betont, dass Jugendliche mit schwacher Griffkraft früher chronisch krank werden. Eine brasilianische Studie zeigte: Jugendliche mit hoher Bildschirmzeit hatten messbar schwächere Hände.
„Schwache Handkraft geht bereits bei jungen Erwachsenen mit schlechterem Stoffwechsel einher“, so Paré.
So bauen Sie Ihre Griffkraft langfristig auf
Lässt sich die Griffkraft steigern? „Definitiv“, sagt Davidson. Regelmäßiges Training – auch ohne Fitnessstudio – bringt klare Fortschritte. Schon das Drücken eines Tennisballs kann die Hand- und Unterarmmuskulatur stärken. Wer regelmäßig übt, wird messbare Verbesserungen feststellen.
Leong empfiehlt, zusätzlich auch Beine und Oberkörper zu trainieren. „Wer allgemein fitter wird, steigert automatisch auch die Griffkraft.“ Für ältere Menschen eignet sich der sogenannte Get-up-and-go-Test: Vom Stuhl aufstehen, drei Meter gehen, umdrehen und sich wieder setzen. Diese Übung misst die Mobilität und stärkt gleichzeitig die Beinmuskulatur.
Davidson rät zum regelmäßigen Krafttraining, um Muskelmasse und Knochendichte zu erhalten. „Je älter wir werden, desto wichtiger wird Bewegung“, sagt er. Für den Anfang genügen zwei bis drei Sätze einarmiger Handgelenk-Curls mit je 10 bis 20 Wiederholungen. Wer Hanteln oder eine Kettlebell besitzt, kann auch Bizeps-Curls integrieren.