Die japanische Stadt, die Kuhmist in Wasserstoff verwandelt

by Silke Mayr
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Eine nachhaltige Energiequelle aus unerwarteter Quelle

Dutzende Kühe beobachten uns misstrauisch. Ihr Atem bildet kleine Wolken in der kalten Morgenluft.

Es ist ein frostiger Morgen auf der verschneiten Insel Hokkaido im Norden Japans. Die Luft trägt den unverkennbaren Geruch von Kuhmist – ein Nebeneffekt der florierenden Milchindustrie der Region. Hokkaido macht 20 % der Landesfläche Japans aus und beherbergt mehr als eine Million Kühe. Diese liefern über die Hälfte der Milch- und Molkereiprodukte des Landes.

Auf einem Bauernhof in Hokkaido wird der intensive Geruch in der Luft in eine wertvolle Ressource verwandelt: Wasserstoff aus Rinderdung. Dieses Gas stößt beim Verbrennen kein Kohlendioxid aus und gilt als vielversprechende Alternative zu fossilen Brennstoffen. In Zukunft könnte es zur Energieversorgung von Häusern sowie zum Antrieb von Autos, Zügen, Flugzeugen und Schiffen beitragen.

Die häufigste Methode zur Wasserstoffgewinnung setzt jedoch Methan ein – ein fossiler Brennstoff mit hoher CO₂-Bilanz. Alternativ kann Wasserstoff durch Elektrolyse gewonnen werden, aber dieser Prozess ist teuer und nur dann klimafreundlich, wenn er mit erneuerbarer Energie betrieben wird.

Ein innovatives Projekt zur Wasserstoffgewinnung

Die Shikaoi Hydrogen Farm verfolgt einen anderen Ansatz: Sie nutzt Abfallstoffe, die auf Hokkaido reichlich vorhanden sind. Jährlich fallen hier rund 20 Millionen Tonnen Kuhmist an. Ohne geeignete Behandlung könnte dieser Mist Umweltprobleme verursachen, Methan freisetzen und die Wasserqualität beeinträchtigen. Doch kann dieser Abfall als nachhaltige Energiequelle dienen?

“Dieses Projekt zur Wasserstoffproduktion aus Viehdung ist eine japanische Innovation und einzigartig in dieser Region”, sagt Maiko Abe von Air Water, einem der beteiligten Unternehmen. Wir besuchen die Anlage in Shikaoi, einer Stadt in Zentralkozern Hokkaidos, um für die BBC-Serie TechXplore über Japan zu berichten. “Shikaoi verarbeitet 30 % der Kuhabfälle und -harnstoffe Hokkaidos, was großes Potenzial für erneuerbare Energien bietet.”

Das 2015 vom japanischen Umweltministerium gestartete Projekt verwandelt landwirtschaftliche Nebenprodukte in Wasserstoff und versorgt damit die ländliche Gemeinde. Die Exkremente und der Urin der Kühe werden in einer zentralen Anlage gesammelt und in einen anaeroben Fermenter geleitet. Dort bauen Bakterien den organischen Abfall ab und erzeugen Biogas sowie Flüssigdünger. Das Biogas wird gereinigt und in Methan umgewandelt, das zur Wasserstoffproduktion dient.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Die Anlage produziert derzeit täglich 70 Kubikmeter Wasserstoff und kann bis zu 28 wasserstoffbetriebene Fahrzeuge betanken. Neben Autos stehen insbesondere landwirtschaftliche Fahrzeuge wie Traktoren und Gabelstapler im Fokus, da Batterien für diese Maschinen oft ungeeignet sind. Der erzeugte Wasserstoff wird zudem in Kanistern gelagert und zur Beheizung von Betrieben wie einer Störzuchtfarm und dem Obihiro Zoo genutzt.

Doch Wasserstoff bringt auch Herausforderungen mit sich. Er muss unter hohem Druck gespeichert werden, kann leicht entweichen und erfordert spezielle Sicherheitsmaßnahmen. Die Lagerung in flüssiger Form benötigt extrem niedrige Temperaturen, was energieintensiv ist. Zudem nimmt Wasserstoff mehr Platz ein als herkömmliche fossile Brennstoffe, was große Infrastrukturinvestitionen erfordert.

Hokkaidos kaltes Klima stellt eine zusätzliche Hürde dar. Die Technologien müssen sicherstellen, dass Wasserstoff selbst bei extremen Temperaturen stabil produziert wird. Trotz aller Herausforderungen bleibt das Projekt nachhaltig, da das aus Kuhmist gewonnene Methan natürlichen Ursprungs ist. Die verbleibende Gülle wird als Dünger auf Feldern ausgebracht, und Nebenprodukte wie Ameisensäure könnten als Konservierungsmittel für Tierfutter dienen.

Die Betriebskosten bleiben jedoch hoch, da Wasserstoff im Vergleich zu fossilen Brennstoffen teuer ist und die Nachfrage noch begrenzt ist. “Der Bau von Wasserstoff-Tankstellen ist sehr kostspielig”, erklärt Abe. “Da es nur wenige Wasserstofffahrzeuge gibt, halten wir unsere Kapazitäten zunächst niedrig. Doch mit zunehmender Nachfrage werden wir die Produktion ausweiten.” Um den Einsatz zu fördern, subventioniert die Anlage Wasserstoff, sodass er preislich mit Benzin konkurrieren kann.

Japan ist weltweit führend in der Wasserstofftechnologie und investiert erheblich in deren Weiterentwicklung. Dennoch sind batterieelektrische Fahrzeuge derzeit günstiger als Wasserstoffautos. Obwohl Kuhmist nicht den gesamten Wasserstoffbedarf Japans decken kann, zeigt Shikaoi, wie eine Kreislaufwirtschaft langfristig Kosten senken könnte.

Auch in anderen Ländern wächst das Interesse an Wasserstoff aus Abfallstoffen. In Thailand untersucht Toyota die Wasserstoffproduktion aus Hühnerkot, während Forscher der Universität Illinois in den USA eine Methode entwickelt haben, die Biomasse nutzt, um den Energieaufwand für die Wasserstofferzeugung drastisch zu senken.

Sogar menschliche Abfälle werden als Energiequelle genutzt: In der Stadt Fukuoka auf Kyushu wird Wasserstoff aus Abwasser erzeugt und treibt emissionsfreie Müllwagen an. Auch in Großbritannien, Deutschland, Indien und den USA entstehen Anlagen, die Abfall und Biomasse in Wasserstoff umwandeln.

Diese Projekte beweisen: Energie kann aus den unerwartetsten Quellen stammen, und Abfallstoffe bieten eine vielversprechende Zukunft für nachhaltige Energiegewinnung.

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