Britische Ärztinnen und Ärzte schlagen Alarm: Immer mehr Patientinnen und Patienten leiden an sogenannten viktorianischen Krankheiten wie Krätze oder Erysipel, die mit Armut und schlechten Lebensbedingungen in Verbindung stehen. Eine Umfrage des Royal College of Physicians (RCP) unter 882 Mediziner:innen zeigt, dass 89 % besorgt über die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Gesundheit ihrer Patient:innen sind.
Krankheiten durch schlechte Wohnverhältnisse und Armut
Laut Umfrage gaben 72 % der Befragten an, in den letzten drei Monaten mehr Menschen behandelt zu haben, deren Erkrankungen auf mangelhafte Wohnverhältnisse, Luftverschmutzung oder fehlenden Zugang zu Verkehrsmitteln zurückzuführen sind. 46 % sagten, dass mindestens die Hälfte ihrer Arbeit mit sozial bedingten Krankheiten zu tun hat.
Einige berichteten von Fällen schwerer Hautkrankheiten wie Krätze, die durch Milben übertragen wird und hoch ansteckend ist. Andere wiesen auf Fehlernährung infolge von Armut hin, die zu schlechterer Genesung nach akuten Erkrankungen führt. In mehreren Fällen kam es sogar zu Unterkühlung, weil Betroffene sich keine Heizung leisten konnten.
Ärzte sehen sozialen Abstieg in der Praxis
Dr. Ash Bassi, Gastroenterologe aus Merseyside, berichtet von chronischen Atemwegserkrankungen, die durch feuchte und kalte Wohnungen ausgelöst oder verschlimmert werden. Ernährungsunsicherheit, geringe Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen und finanzielle Notlagen, die medizinische Hilfe verzögern, seien Alltag in vielen Praxen.
RCP fordert Strategie gegen soziale Ursachen von Krankheit
Dr. John Dean, klinischer Vizepräsident des RCP, fordert die britische Regierung auf, endlich konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung gesundheitlicher Ungleichheiten zu präsentieren. Angesichts von über 2,5 Millionen zusätzlichen Menschen, die laut Prognosen bis 2040 mit schweren chronischen Krankheiten leben werden, sei keine Zeit zu verlieren.
Gesundheit sei eng verknüpft mit Wohnen, Ernährung, Bildung, Arbeit und Umwelt, so Dean. Deshalb brauche es eine umfassende, ressortübergreifende Strategie, um die sozialen Ursachen von Krankheit wirksam anzugehen.
Regierung setzt auf Prävention
Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums erklärte, man wolle mit dem neuen „Plan for Change“ gezielt gegen die gravierenden Ungleichheiten im Gesundheitssystem vorgehen. Ziel sei es unter anderem, die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen reichen und armen Regionen in England deutlich zu verringern. Ein Schwerpunkt liege auf dem Übergang von reaktiver zu präventiver Gesundheitsversorgung, um langfristig die Belastung des NHS zu reduzieren.
Die Ärztinnen und Ärzte fordern jedoch sofortige und gezielte Maßnahmen, damit Armutskrankheiten aus dem 19. Jahrhundert nicht zum festen Bestandteil des 21. Jahrhunderts werden.